Gegen die Happy-Sucht
Aschenputtel ist jung, hübsch und nett – ein perfektes Mädchen, das eigentlich ein wunderschönes Leben verdient hätte. Die Arme wird aber von ihrer bösen Stiefmutter und ihren schrecklichen Schwestern gemobbt. Sie putzt, kocht und muss auf Asche schlafen.
Was dann passiert, das weiß jeder. Ein paar Tauben, drei Kleider und ein Schuh lenken das Märchen in die richtige Richtung. Die Bösen werden bestraft, die Gute wird Prinzessin. So muss es im Märchen sein.
Das Ende dieses Märchens ist aber kein Ende
Es ist ein glücklicher Zeitpunkt, den man sich als Ende ausgewählt hat, und den man Happy End nennt. Diese seltsame Sucht, die Menschen haben, ihre Erzählungen immer auf Biegen und Brechen gut enden zu lassen, ist künstlich. Unter dem Vorwand, die Hoffnung nicht aufgeben zu dürfen, werden einem die unglaubwürdigsten Geschichtsausgänge untergejubelt. Eigentlich fängt die Geschichte realistisch an, alles ist glaubwürdig, die Vernunft müsste zum Schluss kommen, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Und dann taucht auf einmal eine Fee auf, die alles mit einem Zauberschlag auflöst.
Als würde es sich in Wirklichkeit so abspielen!
Die jenigen, die von der Fiktion so beeinflusst sind, dass sie auf das Happy End im Leben warten und hoffen, können noch lange warten – und werden enttäuscht sein. Ihre Freundin betrügt sie? Das Vöglein wird nicht kommen. Ihre Wohnung brennt ab? Keine Fee wird herbeischweben. Willkommen in der wirklichen Welt.
Man kann Aschenputtel aber auch so weitererzählen, wie es die französische Rockband Téléphone in ihrem Lied “Cendrillon” macht. Die Prinzessin ist jetzt ein bisschen älter, etwa dreißig. Das Schönste der Kinder ist zu einer traurigen Mutter geworden. Der Prinz hat sie für Dornröschen verlassen, ihre Kinder sind weg; sie bleibt allein, fängt an zu trinken und in Kneipen herumzuhängen. Am Ende stirbt das drogensüchtige Aschenputtel im Krankenwagen.
Die Wirklichkeit ist der Ort, wo Happy Ends keinen Platz haben
Es gibt zwar happy, und auch das End, aber nicht beides zusammen. End ist etwas, das unsere eigene Geschichte beendet: der Tod. Aber der Tod ist nicht happy. Im Gegensatz zum Tod kann es Happy-Momente öfter geben: das Leben ist eine dauernde Verkettung von abwechselnd schönen und weniger schönen Ereignissen. Die schönen fungieren in der Fiktion als Enden, weil man sie als solche bezeichnet hat. Aber im wirklichen Leben kann man nicht einfach entscheiden, welcher Moment ein Ende ist. Wie im Lied von Téléphone geht es nach dem Ende immer weiter, was die Illusion ewiger Vollkommenheit zerstört, die während des Happy-Moments empfunden wird. Kurz: Glückliche Momente sind kein glückliches Ende.
Zu düster?
Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil: könnte man alles wie durch Zauber wieder gutmachen, wäre das Leben langweilig. Das Feld der Möglichkeiten würde sich drastisch verringern. Ohne Unsicherheiten gibt es weder Spannung noch Adrenalinstöße.
Und wegen dieser festen Gewissheit, dass alles zur Glückseligkeit führt, würde es kein Unglück und keine Traurigkeit mehr geben. In schwierigen Zeiten könnte man einfach warten, bis das Glück zurückkommt. Das Leben würde also zwischen Glückseligkeit, dem Warten auf Glückseligkeit, und wieder Glück hin und her pendeln, so dass man ohne Vergleichsmöglichkeit vergessen würde, dass man glücklich ist. Die Sicherheit des Happy Ends ist nichts anderes, als eine Versprechung der ewigen Langeweile.
Veröffentlicht in der taz-Beilage “Happy End” – eine Sonderbeilage des Masterstudiengangs Kulturjournalismus an der UdK.